Familienunternehmen: Nachhaltige Wollwaren „made in Stade“ - Hamburger Abendblatt

2023-02-15 16:21:29 By : Ms. Rita Li

Langlebige Mode, hergestellt in Stade: Tatjana Unruh näht die Ärmel an einen Troyer. Es gibt viel zu tun, denn die Nachfrage nach den Pullovern ist groß.

Foto: Michael Rauhe / Funke Foto Services

Karl-Frank Siegel hat mit Rymhart eine mehr als 70 Jahre alte Familien-Strickerei vor dem Aus gerettet. Was er jetzt plant.

Niedersachsen.  Ein unscheinbarer Zweckbau am Stadtrand von Stade. Die Stahltür im Hinterhof ist nur angelehnt. Von drinnen hört man es rattern und surren. Fast 30 Strickmaschinen stehen in der Halle. Unablässig gleiten die Strickschlitten hin und her, produzieren laufende Meter Wollmaterial. Das ist das Herzstück der Strickerei Siegel. Inhaber Karl-Frank Siegel führt durch die Reihen. Die Maschinen arbeiten fast automatisch, von 6 Uhr in der Früh bis 22 Uhr am Abend.

„Für mich klingt das wie Musik“, sagt der 63-Jährige. Er bleibt kurz stehen. „Das sind Vorder- und Rückteile unseres Troyers“, sagt er. Für Laien erfordert es Fantasie, um sich vorzustellen, wie aus dem Endlos-Strickwerk ein Seemannspullover entstehen soll. Siegel kennt jedes Detail. „Der Faden da, das ist Zwirn“, sagt er. „Den arbeiten wir extra ein, damit die Bündchen nicht so schnell durchscheuern.“

Dass die Wollwaren „made in Stade“ etwas Besonderes sind, hat sich inzwischen herumgesprochen. Der Familienbetrieb kommt kaum hinterher mit der Produktion. Im vergangenen Jahr hat er ein Rekord-Ergebnis eingefahren. Das war lange anders. Seit der Gründung 1948 war die Strickerei auf Pullis für ältere Damen spezialisiert, die unter dem Markennamen Seepferdchen im Einzelhandel verkauft wurden. Das Geschäft war immer schwieriger geworden. Billigmode aus Asien bestimmt den Markt, immer mehr Fachgeschäfte schließen.

Mitte des Jahres hat Siegel die Seepferdchen-Herstellung eingestellt. „Die internationale Textilindustrie ist ein ökologisches Grauen“, sagt Siegel. „Wir zeigen, dass man es anders machen kann als in der Massenproduktion.“ Nachdem er die vergangenen Jahre noch zweigleisig gefahren waren, setzt er jetzt komplett auf hochwertige Pullis & Co. für Männer. Rymhart hat er seine Marke genannt. Dahinter steckt der friesische Kapitänsspruch „Rüm hart, klaar kiming“ – weites Herz, klarer Horizont.

Das passt zu dem eigenwilligen Firmenchef. Die Geschichte von Rymhart ist auch seine Geschichte. Es ist inzwischen schon ein paar Jahre her, als Karl-Frank Siegel auf der Suche nach einem Arbeitspullover fürs Segeln war. Seefest sollte er sein, aus warmer Wolle und mit einem hohen Kragen gegen den Wind. „So ein richtig fettes Teil, sinnvoll und zweckdienlich.“ Weil er das nicht fand, fing er an zu experimentieren.

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Bestellte richtig gute Wolle, tüpfelte an Details wie Muster und Bündchen, programmierte eine Strickmaschine immer wieder neu. So entstand der Ur-Rymhart. Seine Söhne, aber auch Familie und Bekannte waren begeistert, wollten auch so einen Pullover. „Die haben gesagt, den musst du verkaufen.“ Siegel blieb skeptisch, ein Pullover für richtig harte Jungs mit einem Selbstkostenpreis von nicht viel unter 200 Euro und die bunt gemusterten Kunstfaser-Pullis für Damen jenseits von 75 – wie soll das zusammengehen. Er wagte es trotzdem und holte mit Sven Promer jemanden in die Firma, der mit ihm die neue Marke kreierte.

„Die Troyer haben uns neuen Schwung gegeben und dem Unternehmen einen Sinn“, sagt Siegel. Man kann auch sagen: Sie haben die Strickerei mit 40 Beschäftigten vor dem Aus gerettet. Der Firmenchef sitzt in seinem Büro und erzählt in weiten Bögen von der Entwicklung der vergangenen Jahre, dabei steckt sich er eine Selbstgedrehte nach der anderen an. Die Wand auf dem Flur davor ist gepflastert mit Werbeplakaten aus mehreren Jahrzehnten Pullover-Geschichte. Er selbst ist gelernter Tischler, lebte in Frankreich und kam erst 1989 in den väterlichen Betrieb. 2004 hat er das Unternehmen durch einen Konkurs gebracht. Aufgeben?

Für ihn keine Alternative. Als er vor zehn Jahren den Rymhart-Onlineshop mit seinem Troyer in zwei Schnitten und den drei Farben Marine, Anthrazit und Hellgrau startete, war das die letzte Chance. Nach fünf Tagen kam die erste Bestellung. Das Paket fuhr er mit dem Fahrrad zur Post. Seitdem ist der Absatz stetig gewachsen. „Wir hatten jedes Jahr 30 Prozent Plus“, sagt Siegel. „Und das praktisch ohne Werbung, sondern durch Weiterempfehlungen.“ Im Corona-Jahr 2020 stiegen die Erlöse sogar um fast 100 Prozent. In diesem Jahr rechnet der Unternehmer mit einem Umsatz von zwei Millionen Euro. Verkauft wird online und per Werksverkauf.

Mittlerweile ist das Sortiment gewachsen. Es gibt auch einen leichten Troyer, mehrere Jackenmodelle, diverse Shirts, auch mit Ringelmuster – insgesamt zehn Herrenmodelle, dazu Mützen und Schals, alle aus hochwertiger Wolle und alle weitgehend in Handarbeit hergestellt. Dass Seemannspullis gerade ein Modetrend sind, ist Siegel ziemlich schnuppe. „Wir machen jedes Jahr ein neues Produkt“, sagt er.

Jede Entwicklung ist auch ein Selbsttest. An diesem Tag trägt er ein Wollshirt mit Knopfleiste, ein sogenanntes Henley-Shirt, das 2022 ins Programm kommen soll. Vorher ist noch ein klassischer Herrenpullover geplant. Bis er zufrieden ist, dauert es oft einige Monate. Der Mann ist Perfektionist. Nicht nur die richtige Wolle muss gefunden werden, auch Schnitt und Verarbeitung sind bis ins Detail geprüft.

Das hat seinen Preis. Ab 199 Euro und bis zu 350 Euro kosten die Rymhart-Strickwaren. Dass die Marke trotzdem eine wachsende Fangemeinde hat, liegt auch daran, dass sie in Langlebigkeit investiert. So gibt es beim Kauf einen Re­freshing-Gutschein, der für Reparaturen und Aufarbeitung eingesetzt werden kann. Die Strickerei nimmt auch gebrauchte Kleidungsstücke in Zahlung, etwa wenn sie nicht mehr passen. Kommt der Ankauf zustande, landen sie aufgearbeitet im Secondhand-Bereich des Werksladens.

Unser Ziel ist „gedeihliches Wachstum“, sagt Siegel. Eine Damen-Kollektion, wie öfter gewünscht, oder der Verkauf im Einzelhandel sind nicht geplant. Rymhart-Läden seien langfristig denkbar, sagt der Strickerei-Chef. Aber erst mal muss die Marke zeigen, dass sie die Firma auch in den nächsten Jahren am Leben halten kann.

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