Cameron Rowland im Tower MMK: Weiße Schulden

2023-02-15 16:18:02 By : Ms. Kerry Y

Cameron Rowland führt in der Ausstellung „Amt 45 i“ die Bezüge des Museums für Moderne Kunst zu der menschenverachtenden Sklaverei im Kolonialismus vor Augen. Von Lisa Berins

Wenn das Museum für Moderne Kunst (MMK) Pech hätte, dann wäre es spätestens in hundert Jahren sowas von bankrott – wahrscheinlich aber schon viel eher. Im Jahr 2046 hätten seine Schulden die Millionenmarke überschritten, im Jahr 2122 beliefe sich der Schuldenberg auf unglaubliche 311 Milliarden Euro. Profitieren würde die Bankrott INC., eine Firma von Cameron Rowland. Einem nichtbinären Künstler, der sich selbst als they/them beschreibt; they also dem MMK anlässlich der Ausstellung „Amt 45 i“ im Tower des MMK diesen Vertrag angedreht hat. Darin wird eine Darlehenssumme von 20 000 Euro mit einem Zinssatz von 18 Prozent vereinbart. Vertragspartner ist das Amt 45 i – das ist die behördliche Kennung des Museums, was bedeutet; Schuldner ist die Stadt Frankfurt. Es ist ein regelrechter Knebelvertrag: Die Zinsen fallen auf unbegrenzte Zeit an, und nur Rowland selbst kann bestimmen, wann die Zahlungen geleistet werden.

Die Unterschriften auf dem Vertrag sind echt, Susanne Pfeffer, Direktorin des MMK, hat den irren Pakt am 6. Dezember 2022 mit schwarzem Stift und Schwung unterschrieben. Spoiler: Das ist natürlich alles rein hypothetisch. Ein Kunstwerk. Rowland dreht den Spieß um. They will damit auf einen größeren Zusammenhang verweisen, den man üblicherweise nicht in seinem ganzen, frappierenden Ausmaß präsent hat. Es geht um die Praktiken des transatlantischen Sklavenhandels, um daraus resultierende Reparationszahlungen, die Staaten wie Haiti seit der Abschaffung der Sklaverei leisten müssen – wovon große Banken auch heute noch profitieren. Es geht auch um die Einordnung des Museums für Moderne Kunst in diesen menschenverachtenden Kolonialkontext. Denn es ist so: Auch eine Institution wie das MMK hat letzten Endes von der Sklaverei profitiert. Und zwar in nicht geringem, sondern womöglich sogar in existenziellem Ausmaß.

Cameron Rowland, geboren 1988 in Philadelphia, hat im Vorlauf der Ausstellung eine tiefgreifende Recherche zur Verstrickung deutscher Familien in den kolonialen Sklavenhandel seit dem 16. Jahrhundert angestellt. Die „rassifizierte Sklaverei“, wie sie genannt wird, weil ihr zugrunde die Sichtweise von der Minderwertigkeit Schwarzer und Indigener lag, war nicht nur eine Sache anderer europäischer Länder, nein: Deutsche „waren an wichtigen Schaltstellen in das Atlantische System involviert“, wie Rowland in them Essay beschreibt, der selbst Kunstwerk ist und als Pamphlet am Eingang der Ausstellung ausliegt. Die kleine Broschüre ist ein wichtiger Bestandteil der Schau.

Wenn man den Tower betritt, ist man erst mal baff, was man alles nicht sieht. Rowlands konzeptionelle Kunst, die auch mit den Mitteln der Institutionskritik arbeitet, wirkt in den klinisch weißen Räumen extrem minimalistisch – und ist zum Teil ganz und gar unsichtbar. Welche Bedeutung die wenigen, subtil arrangierten Objekte im Kolonialkontext haben, wird erst durch die Beschreibung im „Pamphlet“ klar – wichtig also, es beim Rundgang mitzunehmen.

Ein Seil, das wie eine Absperrung zwischen zwei Wände gespannt ist: Es wurde früher eingesetzt, um die Pferde und damit die weißen Reiter der Patrouillen zum Sturz zu bringen. Ein großer, rostiger Eisenkessel: Er wurde in Louisiana auf einer Plantage genutzt, um Zuckerrohr zu mahlen und Saft daraus zu kochen. Versklavte Schwarze Menschen arbeiteten unter systematischer Folter bis zu 18 Stunden täglich daran. Ein Häufchen Salz-und-Pfeffer-Gemisch, das man leicht übersehen kann, trägt den zynischen Namen der Foltermethode „Seasoning“ – „Würzen“: Dabei wurden Salz und Pfeffer in offene Wunden gestreut. Zwei Eimer, die in der Ecke stehen, und die nicht von Handwerkern vergessen wurden, sondern laut Aufschrift „Oxalic Acid“ enthalten: Eine Substanz, die in Putzmitteln verwendet wird, und die Sklavinnen und Sklaven auch dazu nutzten, um ihre „Master“ – ihre weißen Herrinnen und Herren – zu vergiften.

Ein Webstuhl steht stellvertretend für das perfide System der deutschen Ausbeutung: An einem solchen Gerät produzierten arme Familien, auch Kinder, im 17. und 18. Jahrhundert im damaligen Niedriglohnland Deutschland den Exportschlager schlechthin: Leinen. Genauer gesagt, grobes, kratziges Leinen, das sich in Kolonien Westindiens oder in Barbados wegen seines billigen Preises extrem gut verkaufte und aufgrund seines Ursprungsorts „Osnaburgs“ oder „Osnabrigs“ genannt wurde. Auf den Plantagen mussten es Sklavinnen und Sklaven tragen. Wenn sie flüchteten, konnte man sie schnell an ihrer Leinenkleidung „Made in Germany“ identifizieren.

In Cameron Rowlands Essay werden die Patrizierfamilien Welser und Fugger genannt, die massiv am Aufbau des Sklavenhandels beteiligt waren und von ihm profitierten, aber auch eine Person wie Johann von Bodeck, ein Frankfurter, der in die erste börsennotierte („Sklav*innenhandels“-)Aktiengesellschaft der Welt investierte: die 1602 gegründete Niederländische Ostindien-Kompanie. „Der Aktienmarkt, wie wir ihn heute kennen, geht auf diese Einrichtung zurück“, schreibt Rowland.

Frankfurt profitierte enorm vom Börsengeschäft; seit mehr als 400 Jahren ist es das Finanzzentrum Deutschlands. Viele der hier ansässigen Banken haben eine Vergangenheit, die in die dunklen Episoden der Kolonialisierung, Ausbeutung und Entmenschlichung zurückreicht. Eine Replik der Unternehmenschronik der Commerzbank aus dem Historischen Museum verweist zwar auf das Gründungsdatum im Jahr 1870. Wer die zwölf Kaufleute waren, die das Unternehmen gründeten, wird verschwiegen. Rowland führt sie im Begleitheft auf. Sie alle waren in das Sklavereigeschäft involviert: durch Kaffeeplantagen in Brasilien, Tabak- und Kolonialwarenhandel. In diesem Kontext wird auch das Haus zur Goldenen Waage, das 2018 im Zuge der Altstadtrekonstruktion neu gebaut wurde, als ein Monument des Kolonialismus gedeutet – eine Postkarte mit entsprechendem Motiv können Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung kaufen.

Die Erkenntnis, dass auch das MMK auf Basis von Leid und Ausbeutung versklavter Schwarzer und Indigener existiert – sie ist nur das logische Ende einer Kette weißer Schuld. Als städtische Einrichtung profitiert das Museum vom Reichtum der Stadt, damit von den Banken, und damit von deren kolonialer Geschichte. Der Tower, die Ausstellungsfläche im TaunusTurm, demonstriert dies als „Public Private Partnership“ ziemlich gut. Rowland hat diese Verflechtung in der Arbeit „Public Use“ aufgegriffen. Sie besteht aus offenen Notausgangstüren. Besucherinnen und Besucher können durch sie hindurchgehen, Aufzüge in eine Lobby nehmen, das Feuertreppenhaus herunterlaufen – und so die Verflechtung zwischen Kunst, Kapital und White Supremacy körperlich erfahren. So das Konzept – auf einen Versuch kommt’s an.

Bis 15. Oktober. www.mmk.art